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Überleben nach der Apokalypse: Erfahrungen aus dem Endzeit LARP “Fallout”

Das „Fallout“ ist ein dystopisches Live-Rollenspiel, bei dem die Teilnehmer für fünf Tage in eine postapokalyptische Welt eintauchen. In dieser Welt, 100 Jahre nach einem Atomkrieg, gibt es keine Zivilisation mehr – nur noch Anarchie, Gewalt und den Kampf ums Überleben. Ich berichte von meinen Erfahrungen beim Fallout-Rollenspiel: von meinen Erwartungen und Ängsten vorab, dem Aufbau sozialer Strukturen und der Suche nach meiner eigenen Rolle innerhalb der Gemeinschaft. Ich schildere die teils absurden und intensiven Szenen dieses „FSK18-Impro-Theaters“ und reflektiert abschließend, was ich aus diesem dystopischen Rollenspiel für die reale Welt mitnimmt.

Was ist das Fallout?

Das Fallout ist ein FSK18 Endzeit-LARP

Es spielt im Jahr 2123, rund 105 Jahre nach dem atomaren Ende unserer heutigen Gesellschaft. Man könnte es sich wie eine Mischung aus Madmax, Tribute von Panem, Fallout (Videospiel) und The Last of Us vorstellen.

Für fünf Tage (100 Stunden) versammeln sich etwa 120 Teilnehmer auf einem 200 Hektar großen Areal in Polen. Mit über hunderten Bunkeranlagen bietet das Gelände das perfekte Setting für dieses dystopische Szenario.

Man könnte es als „Open-World-Realitätsspiel“ betrachten: Ein Spiel, weil eine Spielleitung existiert, die eine Geschichte und Hauptmissionen entwickelt. Zugleich ist es sehr realitätsnah, da unvorhersehbare Dynamiken entstehen.

Was waren meine Erwartungen und Ängste zuvor?

Zunächst war ich besorgt um meine Grundbedürfnisse: Essen, Schlafen, Trinken und die Toilettennutzung.

Ich bin daher sehr dankbar, dass ich zu Beginn von einer erfahrenen Gruppe aufgenommen wurde, die über die Jahre hinweg ein kleines Dorf errichtet hatte (das “TechValley”). Das bedeutet, wir hatten einen Koch, der einmal täglich eine einfache Mahlzeit zubereitete. Wasservorräte wurden gemeinschaftlich gesammelt und verwaltet. Ich schlief in einem Bunker, und ein Toilettenhaus wurde sogar extra von Hand errichtet.

Unsere Sanitäranlage im TechValley

Eine weitere Sorge von mir war: Wie wird die Gesellschaft der Zukunft aussehen, wenn sie aus Anarchie entsteht? Welche Rolle könnte ich übernehmen? Wie könnte ich wertvoll zur Gemeinschaft beitragen?

Anfangs bekommst du fünf Kronkorken, die einzige Währung im Szenario, mit denen du Waren und Dienstleistungen handeln kannst. Das ist nicht viel, denn ein Bier kostet 2 Kronkorken.

Deshalb musste ich schnell Möglichkeiten finden, um „Geld“ zu verdienen. Anfangs übernahm ich kleine Aufgaben wie das Besorgen von Wasser und Vorräten oder das Überbringen von Botschaften zu anderen (auch feindlichen) Lagern.

Innerhalb kurzer Zeit hatte ich ein Gefühl für die Fähigkeiten unserer Gemeinschaft entwickelt und mir eine Gruppe zusammengestellt, mit der ich in feindliches, nicht befriedetes Gebiet zog.

Kurz gesagt: Ich plünderte und sammelte Kronkorken ein. Dabei war ich oftmals im Zwiespalt. Sollte ich dem Opfer alles nehmen oder ihm/ihr etwas lassen? 

Von meinen erbeuteten Kronkorken gab ich einen Teil in die Gemeinschaftskasse und musste auch meine Gruppe bezahlen.

Am nächsten Tag wurde ich allerdings aus dem Hinterhalt überfallen. Ich lag schwer verletzt im Wald und musste den Jeti und die Königin anflehen, mich zu einer Schamanin zu bringen. Ein großer Teil meines hart verdienten Vermögens ging für den Transport und die Wiederbelebung drauf.

Wiederbelebung durch die Schamanin. Foto (c) Kai Sass

Hinzu kam, dass ich schnell Verantwortung übernehmen musste. Obwohl ich es meine erste Teilnahme war, wurde ich binnen weniger Tage in den Kreis der „Öltrinker“ aufgenommen – eine Gruppe aus kampferprobten und erfahrenen Teilnehmern. Ein Netzwerk innerhalb von Netzwerken, das mir mehr Macht, Präsenz und Mitspracherecht verlieh, aber auch größere Verantwortung. Ich hatte mich weder beworben, noch wurde ich vorgeschlagen. Diese „Beförderung“ kam von den Führungsspielern – Omnes erkannte offenbar meine Talente.

Soziale Strukturen & Rollen in der Endzeit

Neben der Sicherung der Grundbedürfnisse war ich sehr gespannt auf die sozialen Strukturen einer möglichen anarchischen Welt.

Es gab verschiedene Gruppierungen: Einige Teilnehmer streiften alleine durch das Land, andere schlossen sich zu kleinen Dörfern zusammen. Einige schliefen unbewacht in Bunkern, während andere Verteidigungsanlagen und Zäune bauten. Es war faszinierend zu sehen, wie sich Gemeinschaften, Einzelkämpfer und Fraktionen in kürzester Zeit bildeten.

Ein befestige Siedlung – Foto (c) Kai Sass

Es war auch interessant zu beobachten, wie sich jeder in diese Welt einbrachte: Wir hatten einen Koch, es gab Barbetreiber, eine Jägerin, Söldner, aber auch Glücksspielbetreiber, Minenarbeiter, Gaukler, Priester, Schamanen, Schmuggler und einige wirklich ungewöhnliche Persönlichkeiten. Jeder konnte die Person sein, die er oder sie sein wollte, vorausgesetzt, man konnte diese Rolle mehrere Tage lang leben.

Bürgermeister von New Hope und Koch im TechValley

Wie bereits erwähnt, hatte ich keine klare Rolle für mich definiert. Ich bin jemand mit vielen Fähigkeiten und Interessen, daher war ich sowohl als Diplomat als auch als Milizenführer unterwegs.

Meine Figur im Fallout 2023 – Foto (c) Kai Sass

FSK18-Impro-Theater

Wie beschreibt man nun das Fallout? Ich bezeichne es als FSK18-Impro-Theater. Es gab zahlreiche Szenen, die wirklich absurd waren. Warum?

Die Zukunft ist hart, brutal und unbarmherzig. Konflikte werden real ausgetragen. Jeder von uns hat eine dunkle Seite, und diese kam oft zum Vorschein. Mit reiner Liebe und Mitgefühl würde man in dieser Dystopie nicht weit kommen. 

Was habe ich erlebt? Viel Paranoia, Schizophrenie, Wahnsinn und Gewaltbereitschaft. Natürlich war alles einvernehmlich, ohne wirklichen physischen Schaden. Die Spiele, Rollen, Dialoge und Situationen waren jedoch mental oft heftig. Ich erlebte Szenen, die man sonst nur aus Filmen und Videospielen kennt. 

Es war also wie improvisiertes Theater mit Kunstblut. Der Zuschauer sieht eine brutale Realität, während die Akteure genau wissen, wo die Grenzen liegen.

Dennoch war es für mich emotional ziemlich intensiv. Ich habe an mir selbst festgestellt, was diese Erfahrungen in mir auslösen (Neugier, Begeisterung, Ekel, Verachtung, Mitgefühl, Angst, Scham) und was andere emotional berührt. Im Fallout konnte man seine dunklen Seiten ausleben und damit Erfolg haben, solange man Teil einer Gemeinschaft von Gleichgesinnten war. Einige Fraktionen (nicht unsere) waren ziemlich heftig. Man konnte schnell spüren, wie man diese Fraktionen hasste und bekämpfen wollte, weil sie sich am barbarischten verhielten.

Die Hoffnung stirbt nie – Foto (c) Kai Sass

Was nehme ich aus dieser Erfahrung mit?

Erstens: Ich habe wenig geschlafen und wenig gegessen, aber hinreichend getrunken. Körperlich war das für mich gut machbar. Die äußeren Bedingungen waren nicht so herausfordernd wie erwartet, zumal ich mich bereits seit Jahren auf solche Szenarien vorbereitet hatte.

Zweitens: Meine aktuelle Persönlichkeit ist geprägt von Liebe und Leidenschaft. Ich musste diese Seite von mir oft verbergen, sonst hätte ich darunter gelitten. Stattdessen trat eine robustere, härtere Seite von mir hervor, die ich kenne, aber im Alltag nur selten spüre. Das Jahr 2023 erscheint im Vergleich zur Dystopie geradezu entspannt und luxuriös.

Drittens: Ich hatte großen Spaß. Es war unglaublich intensiv, vergleichbar mit einem Videospiel, das man in einem Rausch durchspielt. Wir haben viel gelacht. Ich habe Beziehungen zu Menschen aufgebaut. Diese Woche werde ich nie vergessen. Die Erlebnisse, die ich hatte und die Dinge, die ich gesehen habe, verfolgen mich bis in meine Träume. Doch sie verleihen mir auch Kraft und Zuversicht, weil ich die Herausforderungen souverän gemeistert habe.

Vor der Zukunft habe ich nun weniger Befürchtungen.

Diese derart dystopische Zukunft möchte ich definitiv verhindern.

Es ist essenziell, gut vorbereitet zu sein, doch es ist noch wichtiger, im Hier und Jetzt für eine bessere Zukunft einzutreten.

Interessant?