Früher war ich überzeugt: Ich werde ein Vater wie mein eigener.
Erfolgreich. Diszipliniert. Streng.
Ein Mann, der weiß, was zu tun ist.
Ein Mann, der nicht fragt – sondern funktioniert.
Ich war stolz auf ihn. Lange.
Aber irgendwann habe ich gemerkt: Ich war nicht stolz – ich hatte Angst.
Ich wollte gefallen. Anerkennung. Geliebt werden.
Nicht, weil sie einfach da war. Sondern, weil ich dachte, ich müsse sie mir verdienen.
Ich wurde ein Kind, das funktioniert hat.
Das gute Noten brachte, still war, ehrgeizig.
Ein Kind, das gelernt hat, dass Liebe Leistung ist.
Und dass es sicherer ist, nichts zu sagen, wenn Vater wiederkommt.
Nicht aufzufallen. Nicht zu widersprechen. Nicht zu weinen.
Wenn ich heute daran zurückdenke, wird es nicht bitter – aber still.
Ich hatte ein Vorbild, das mich geprägt hat.
Ich habe Wege eingeschlagen, die nicht meine waren.
Ich wurde krank – körperlich, mental, seelisch.
Und ich habe lange gebraucht, um meinen Weg zu finden.
Aber heute stehe ich hier. Und ich bin Vater.
Nicht als Ideal. Sondern als Mensch.
Vaterschaft ist kein Konzept. Sie ist gelebte Beziehung.
Im Internet wird viel über Mütter gesprochen. Über Rollen, Herausforderungen, Überlastung, Care-Arbeit, Vereinbarkeit. Und das ist gut so.
Aber Vaterschaft?
Sie ist oft entweder Heldenmythos oder Nebenrolle.
Der Papa, der am Wochenende den Kinderwagen schiebt und „hilft“.
Der Versorger. Der Abwesende.
Oder der Held, der alles neu macht – in Theorie, aber nicht im Alltag.
In meinem Freundeskreis sehe ich alles:
Den Vater, der 120 % arbeitet und seine Kinder nur am Wochenende sieht.
Die Mutter, die zu Hause bleibt und sich nach der Kita sehnt, um wenigstens eine Stunde für sich zu haben.
Paare, die beide 100 % arbeiten – und sich im Kalender koordinieren, wie andere einen Flug buchen.
Patchwork, Teilzeit, Care-Split, Schuldgefühle, Sehnsucht nach Freiheit.
Vaterschaft heute ist keine feste Rolle mehr.
Aber sie braucht Haltung.
Und Entscheidung.
Unser Weg: bewusste Elternschaft
Meine Frau und ich haben uns lange vorbereitet, bevor unser Sohn kam.
Finanziell. Emotional. Strukturell.
Nicht aus Angst – sondern aus Verantwortung.
Wir wussten: Die ersten Jahre sind entscheidend.
Nicht nur für das Kind, sondern auch für uns.
Bindung entsteht nicht durch Biologie, sondern durch Präsenz.
Und diese Zeit kommt nicht zurück.
Wir verbringen 75 % der aktiven Zeit mit unseren Kindern in den ersten sechs Lebensjahren.
Danach: Schule, Freunde, eigene Wege.
Wir haben gesagt: Diese Jahre möchten wir gemeinsam leben.
Nicht als Projekt. Nicht als Perfektion. Sondern als bewusste Entscheidung.
Heute arbeite ich etwa 15 Stunden pro Woche.
Den Rest der Zeit bin ich da.
Nicht als Helfer, sondern als Elternteil.
Ich bin Vater. Und das ist kein Titel. Es ist Beziehung.
Was heißt das konkret?
Wir machen alles gemeinsam.
Einkaufen. Gassi gehen. Kochen. Renovieren.
Unser Sohn ist nicht „nebenbei“ dabei – er ist Teil unseres Alltags.
Und wir passen unseren Alltag an ihn an.
Beispiel Essen:
Seit einem Jahr essen wir nur noch Speisen, die auch für ein Kleinkind geeignet sind.
Keine scharfen Gewürze. Kein Zucker. Keine Ausnahmen.
Nicht, weil wir müssen – sondern weil wir möchten.
Weil wir glauben, dass Integration wichtiger ist als Exklusivität.
Oder Schlafen:
Unser Sohn schläft bei uns im Bett. Jede Nacht.
Er darf Nähe haben. Sicherheit.
Wenn er müde wird, nimmt er mir das Buch weg, zieht mich sanft auf meine Seite, legt sich zwischen uns, fasst meine und Veronikas Hand – und schläft ein.
Er hat keine Angst. Kein Licht, das plötzlich angeht. Keine Stimme, die ihn zurechtweist.
Er hat Vertrauen.
Das ist für mich Vaterschaft:
Vertrauen schenken, nicht Kontrolle ausüben.
Verbindung bauen, nicht Distanz erzeugen.
Präsent sein, nicht nur physisch – sondern emotional.
Ich bin kein Vater, der hilft.
Dieser Satz ist mir wichtig.
Denn oft höre ich: „Toll, wie du deiner Frau hilfst.“
Aber ich helfe nicht. Ich übernehme Verantwortung.
Ich bin kein Projektleiter in Teilzeit, sondern ein gleichwertiger Elternteil.
Stillen kann ich nicht.
Aber trösten, wickeln, baden, anziehen, spielen, vorlesen, tragen, verstehen, da sein – das kann ich alles.
Und ich habe mir diese Beziehung erarbeitet.
Denn Vaterschaft ist nicht biologisch – sie ist gemacht.
Sie ist Nähe, die sich entwickelt.
Bindung, die entsteht.
Die ersten Monate war unser Sohn wortwörtlich nur an Veronika gebunden.
Ihre Brust, ihre Stimme, ihr Körper.
Ich war da, aber nicht immer gefragt.
Und das ist okay.
Als Vater braucht man Geduld. Und Demut.
Aber auch: Initiative. Und Bereitschaft.
Heute hat er eine starke Beziehung zu uns beiden.
Wir sind Eltern – nicht Mama plus Helfer.
Und das verändert alles.
Was ich gelernt habe
Ich habe in den letzten Jahren viele Coachings gemacht. Bücher gelesen. Gespräche geführt.
„Artgerecht“. „Kinder verstehen“. Bindungstheorie. Epigenetik. Neurobiologie.
Aber das meiste habe ich gelernt, wenn ich einfach bei meinem Sohn war.
Wenn ich beobachte, wie er spielt.
Wie er reagiert.
Wie er Nähe sucht. Oder Abstand braucht.
Wie er nonverbal kommuniziert – und wir ihn trotzdem verstehen.
Wie wir unsere Sprache angepasst haben. Unsere Reaktionen. Unsere Präsenz.
Ich bin seit der Geburt unseres Sohnes mindestens 12 Stunden pro Tag ohne Smartphone.
Wir schauen kein Netflix mehr.
Wir essen keine Chips auf dem Sofa.
Wir leben. Zusammen. Draußen. In Bewegung. In Verbindung.
Und ich merke: Ich bin gesünder als je zuvor.
Körperlich. Mental.
Nicht, weil ich Vater bin.
Sondern, weil ich mich entschieden habe, ein anderer Mensch zu sein.
Die Welle brechen
Viele Erziehungsmuster stammen aus Zeiten, die wir längst hinter uns lassen sollten.
Drittes Reich. Nachkriegsgesellschaft. Funktionieren statt fühlen.
Kinder mussten leisten. Gehorchen. Schweigen.
Sie schliefen allein, weil Nähe angeblich schädlich sei.
Sie mussten essen, auch wenn sie keinen Hunger hatten.
Sie wurden nicht gesehen – sie wurden geformt.
Unsere Eltern haben oft nicht anders gekonnt.
Aber wir können heute anders.
Wir dürfen bewusst entscheiden, was wir weitergeben – und was nicht.
Wir dürfen die Welle brechen.
Epigenetik ist kein Schicksal. Sie ist auch Einladung zur Veränderung.
Ich möchte, dass mein Sohn keine Angst vor mir hat.
Ich möchte, dass er sich gesehen fühlt.
Ich möchte, dass er spürt: Er muss nichts leisten, um geliebt zu werden.
Was für ein Vater ich bin?
Ich bin kein perfekter Vater.
Ich bin müde. Ich bin manchmal überfordert. Ich habe Fragen, für die es keine schnellen Antworten gibt.
Aber ich bin da.
Ich bin neugierig.
Ich bin offen.
Ich möchte lernen, verstehen, begleiten.
Ich sehe meinen Sohn nicht als Projekt.
Ich sehe ihn als Menschen, der mir anvertraut wurde.
Und ich weiß: Diese Jahre sind endlich.
Sie kommen nicht zurück.
Also bin ich da.
Jetzt. Jeden Tag.
Was bleibt?
Wir leben in einer Welt im Wandel.
Technologie, Tempo, Erwartungen.
Aber manche Dinge bleiben:
Liebe. Verbindung. Zeit.
Und die Frage: Wer möchte ich sein – nicht nur im Beruf, sondern im Leben?
Ich möchte ein Vater sein, der zuhört.
Der begleitet.
Der Raum gibt.
Der Grenzen setzt – liebevoll.
Der da ist. Ohne Bedingungen.
Nicht, weil es Trend ist.
Sondern, weil es richtig ist.
Für meinen Sohn.
Für mich.
Für die, die nach uns kommen.

